Die Wolkenpumpe - eine dadasophische Ehrerbietung an Raoul Hausmann

Am 5. Februar 1916 wurde in einem Hinterzimmer eines Gasthauses die DADA Bewegung ins Leben gerufen. Genau 100 Jahre danach begehen wir den 100. Geburtstag dieses Ereignisses mit einer dadasophischen Ehrerbietung an den einzigen österreichischen Dadaisten, Raoul Hausmann – ebenfalls im Hinterzimmer eines Gasthauses. „Die Wolkenpumpe“ ist das neue Capriccio der „Schlüterwerke“ und zeigt mit allen Mitteln des Musiktheaters sämtliche Facetten dieses universellen Künstlers, der bis heute in seiner Heimatstadt Wien vollkommen totgeschwiegen wird. Es gibt keine einzige Gedenktafel, geschweige denn einen Straßennamen, die an ihn erinnern. Auch sein Gymnasium, die Realschule Waltergasse, verschweigt seinen großen Absolventen.

Besetzung

Mit Ingala Fortagne, Stephanie Schmiderer, Andrea Köhler und Béla Bufe 

Musik: siebensterns 5stern orchestra:

fabian pollack: gitarre
christoph haritzer: klarinetten, akkordion
valentin duit: schlagwerk
renald deppe: klarinette, saxophon, toy-piano, konzeption


Inszenierung: Markus Kupferblum

Programm

  1. Die begabten Zuschauer, Konrad Bayer
  2. Erstens will ich fröhlich sein, Konrad Bayer
  3. Intermezzo, Hugo Ball
  4. Ich, Raoul Hausmann
  5. Edelfrau, Hans Arp
  6. Puppe schnuppe, Kurt Schwitters
  7. Dada Berlin , Raoul Hausmann
  8. Huelsenbeck, Tzara Dialog
  9. Geld, Konrad Bayer
  10. Seepferdchen, Hugo Ball
  11. Gold, Silber, Raoul Hausmann
  12. 1000 Dollar Schein, Konrad Bayer
  13.  Pose-Geste, Kurt Schwitters
  14.  Schirm, Philippe Soupault
  15. Alter, Hans Arp
  16.  Wolke 1, Hans Arp
  17. Jehova, Raoul Hausmann
  18.  Wolke 2, Hans Arp
  19. Original-Soldatenlied, Konrad Bayer
  20.  Plötzlich ging die Sonne aus, Konrad Bayer
  21. Wolke 3, Hans Arp
  22.  Jehova 2, Raoul Hausmann
  23.  Te gri ro, Hans Arp
  24. Wolke 4, Hans Arp
  25.  Arm, Raoul Hausmann
  26.  Wolke 5, Hans Arp
  27.  Nein, Raoul Hausmann
  28.  Schikanen, Raoul Hausmann
  29.  Totentanz, Hugo Ball
  30.  Mayröcker, Raoul Hausmann
  31.  Vergangenheit, Kurt Schwitters
  32.  Apfel, Raoul Hausmann
  33.  Klangfarben, Raoul Hausmann
  34.  Hans Arp spricht, Raoul Hausmann
  35.  Spiegel, Kurt Schwitters
  36.  Abstrakte Tänze, Hugo Ball
  37.  Karawane, Hugo Ball
  38.  Wartezeit, Raoul Hausmann
  39.  Wolke, Wolke, Raoul Hausmann
  40.  Fuge, Raoul Hausmann

 

Volkslied

Muter gond stu dehst sto sille

Wurch die Wochenalbend hin

Stehter Wolk du monst steh sille

monddurch hinabend

Mut, Herr Gond in Stillewolken

Abends gehst du hin

Meter du wolkst Abendnih

(Raoul Hausmann)

 

Die Wolkenpumpe

Eine dadasophische Ehrerbietung

Genau am 100. Geburstag der Gründung der DADA Bewegung erweisen das Ensemble der SCHLÜTERWERKE dem Dadasophen und Künstler, dem einziegen österreichischen Dadaisten Raoul Hausmann die längst überfällige Huldigung.  

Raoul Hausmann wurde als zweites Kind des akademischen Malers Viktor Hausmann und seiner Gattin Gabriela, geborene Petke, am 12. Juli 1886 im FÜNFTEN WIENER GEMEINDEBEZIRK, Straßenhof 6 bei Grüngasse 13 geboren und am 25. Juli in der Pfarrkirche St. Josef zu Margareten auf den Namen Raoul Josef getauft.

Der Maler, Collagist, Pamphletist, Photograph, Dichter und Lautpoet Hausmann gilt international als wichtiges Mitglied der Dada-Bewegung und war u.a. 1920 Mitorganisator der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin und Verfasser des Dadaistischen Manifestes von 1918 (zusammen mit Tristan Tzara, George Grosz, Hugo Ball, Hans Arp u.a.)

Ab 1933 galt seine Kunst als entartet.

Raoul Hausmann war ein gebürtiger Wiener, der schon sehr früh erkannte, dass man als Prophet im eigenen Lande niemals überleben kann. Schon 1901 zog der 1886 das austriakische Licht einer Kaiserwelt erblickt habende Maler, Fotograf und Schriftsteller nach Berlin. In dieser Stadt, wo nicht gearbeitet, sondern geschuftet wird, der immerfleißige Berliner seit jeher wie aufgezogen durch die Stadtlandschaft hetzt und dabei leider ganz vergessen hat, wozu er eigentlich auf der Welt ist – dort rief Hausmann mit Johannes Baader, George Grosz, Tristan Tzara und Richard Huelsenbeck die Berliner Dada-Bewegung ins Leben.

Die ungewohnt provokante Sinngebung jenes Daseins, welches sich im orgiastischen Taumel zwischen den Weltkriegen verzweifelt zu orientieren versuchte, stieß nicht nur beim deutschen Spießer auf verbittert aggressive Widerstände. 1933 begann auch für Raoul Hausmann die schwere Zeit der unfreiwilligen Reisen: Spanien, die Schweiz, Prag und Paris waren dem Erfinder des Lautgedichtes und der Fotomontage flüchtige Heimatwelten. Ab 1940 lebte der große Sohn der kleinlichen Wienstadt im französischen Limoges.
Hausmann, mit Kurt Schwitters zusammen erfand der quergeistige Raoul das sinnfreie Plakatgedicht, betrat niemals wieder den kakanisch schlüpfrigen Geburtsboden am immer blauer werdenden Donaustrome.
Markus Kupferblum entwirft zusammen mit Renald Deppe mit dem Ensemble der Schlüterwerke ein sensitives Lebensportrait jenes Künstlers, dessen Schaffen zwischen Revolte und Poesie auch heute dem Komfortkult konsumierenden Kunstgenossen unerträglich geblieben ist. 

"Der Maler malt, wie der Ochs brüllt - oder er ist kein Maler. Er malt wie andere gehen, stehen oder schwitzen. Malerei ist eine geistig-vegetative Verdauungsform. In unseren Tagen vergessen. Wie das geschah? Der Maler zog mit dem Sametjackett und der Künstlermähne die Lebensform aus, die Überzeugung, Boheme, Antibourgeoisie, Haltung äußerlich darstellte. Die Hornbrille, das Motorrad, das bisschen Wissen um Maschinen hat den Malern sehr schlecht getan. Sie stellen sich hin und malen ohne jede Überzeugung, ohne Not Bilder, wie sie vor hundert Jahren Waldmüller, Blechen, Runge, Friedrich und andere gemalt haben - nur mit dem Unterschied, dass dort Trieb, Drang und Müssen war, was heute organisierte kleine Originalitätssucht ist.

Im Zeitalter der bürgerlichen Kultur waren aus den Handwerkern genialisch-tuende Persönlichkeiten geworden, die Hauptsächlich für die Bildungswelt der Bourgeoisie (dies in immer zunehmendem Maß) arbeiteten und meist schlechte Beobachter waren, weil sie nur mehr lose in Wirtschaft eingeordnet waren.

In unserer Zeit wird aus dem genialisch-tuenden Künstler ein meist schizophrener Parasit, der nur deshalb nicht ganz aus der Gesellschaft verschwindet, d. h. in Irrenanstalten untergebracht wird, weil er harmlos ist und auch die Bourgeoisie als Abnehmerklasse schizophren geworden ist. Jede soziologische Einordnungsmöglichkeit nimmt steigend ab. "
Raoul Hausmann (Aus: »Die überzüchteten Künste«, 1931)

Raoul Hausmann, geboren 1886 in Wien, wurde bekannt und gefürchtet als "Scharfrichter der bürgerlichen Seele". Als Dadaist der ersten Stunde und radikaler Quer- und Umdenker wohlvertrauter Wertvorstellungen erlangte Haussmann als kämpferischer Freigeist und interdisziplinär agierender Künstler internationale Anerkennung.

In seiner Geburtsstadt jedoch wurde das umfangreiche Œvre Hausmanns kaum rezipiert, geriet das vieldeutige Werk des provokanten "Dadasophen" zunehmend in Vergessenheit: nicht eine Gasse, kein Platz wurde nach ihm benannt. "Immerhin bin ich der größte Experimentator Österreichs" schrieb Raoul Hausmann, "aber niemand ist ein Prophet in seinem Vaterland. Sorry Sir."

Sorry, Raoul Hausmann: möge der  growl for raoul" dich im nachhinein wohlfein ehren wie faustisch erfreuen.

"Kunst ist Kraft der Erinnerung" lautete ein Kernsatz von dir, dem in Österreich, genauer: im Fünften Wiener Gemeindebezirk Geborenen. Nicht immer gilt und galt dieser wunderbare Gedanke für die Kunst, für die kulturellen Lebenszeichen in und aus Österreich. Aber immer öfter... 

In diesem Sinne: Herzlich Willkommen!

 

Renald Deppe

 

Publikumsreaktionen

LIEBER RENALD, LIEBER MARKUS,

gratuliere Euch zur Hausmannschen Wolkenpumpe und hoffe, sie pumpt in einem weniger voll gepumpten Theaterraum noch einmal!

Bodo Hell

 

Lieber Markus,

ich möchte Dir meine Hochachtung zum Ausdruck bringen. Habe nicht wirklich Worte, um Dir mitzuteilen, wie großartig immer wieder Deine Arbeiten auf mich wirken. Dein unentwegter Einsatz für etwas Neues, Kreatives u.s.w ist bewundernswert. Den Wunsch nicht aufzugeben brauche ich nicht stark hervorheben,
denn das wirst Du ja ohnedies nicht tun
In der Wiener Zeitung vom 6.2.ist ein Artikel unter "Stern des Dada-Cabaretts" über Emmy Hennigs. Ehefrau von Hugo Ball.

Sehr herzliche Grüße
Berta Kammer

Gratulation zu Ihrem Erfolg! Das freut mich, denn kaum jemand verdient das so wie Sie. Ich hab nach unserem Telefonat Herrn H. gesagt, dass Sie mehr zu erzählen wissen, als drei heutige Theaterdramaturgien. So eine Freude mit Ihnen!

Bitte halten Sie mich weiter informiert, wenn Sie wieder etwas planen.

 

Mit herzlichem Gruß

Ihre

Hedwig Kainberger

 

Presse

Ab 5. Februar wird mit Unsinn gegen Unsinniges aufbegehrt

Mit einer „dadasophischen Ehrerbietung“ wird jener Künstler gedacht, die auf Hyper-Technisierung und Krieg reagierten.

 

HEDWIG KAINBERGER
WIEN, ZÜRICH. In einem Wiener

Hinterzimmer wird heute, Freitag, das zelebriert, was am 5. Februar 1916 ebenfalls in einem Hinterzim- mer begründet worden ist: der Da- daismus. Es ist nicht exakt überlie- fert, was an diesem denkwürdigen Abend in Zürich gesprochen, ge- lallt, gestammelt und rezitiert wor- den ist. Vielleicht: „brulba dori dau- la dalla / sula lori wauga malla / lori damma fusmalu“? Dies ist die erste Strophe eines sogenannten Lautge- dichts von Hugo Ball. Er sowie die Schriftstellerin und Kabarettistin Emmy Hennings haben am 5. Feb- ruar 1916 an der Spiegelgasse 1 in Zürich das „Cabaret Voltaire“ und damit den Dadaismus begründet.

Die Dadaisten seien damals ange- treten, „nicht Dummheit zu ver- breiten, sondern Unsinn“, erläutert Markus Kupferblum. Er ist der da- daistische Rädelsführer für die heu- tige Feier zum 100. Geburtstag im Café 7stern in Wien. „Unsinn“ be- deutet diesfalls Absage an die Tradi- tion, Revolte gegen inhaltliche Kon- vention sowie Aufbruch von For- men – also das Ergründen von Ur- formen und Urlauten in der Sprache analog zur Abstraktion in der Male- rei (Kasimir Malevic hatte übrigens sein „Schwarzes Quadrat“ im De- zember 1915 erstmals ausgestellt).

Die Künstler des „Cabaret Vol- taire“ hätten künstlerisch auf die teils irrwitzige Technisierung des Lebens ebenso reagiert wie darauf, dass der Erste Weltkrieg soeben das

Wahre, Schöne und Gute ad absur- dum geführt habe, erläutert Markus Kupferblum. Es sei erschreckend, wie viele Parallelen es heute zu da- mals gebe: Vor dem Ersten Welt- krieg habe es geheißen, dieser sei wegen enger wirtschaftlicher Ver- flechtungen unmöglich. Es habe Friedensutopisten ebenso gegeben wie Menschen, die forderten, das Land abzuschotten. „Alle Argu- mente, die man heute hört, kann man nachlesen“, sagt Kupferblum.

In seiner „dadasophischen Ehr- erbietung“ unter dem Titel „Wol- kenpumpe“ gehen er und sein „En- semble der Schlüterwerke“ auf den Ersten Weltkrieg ein und würdigen zudem Raoul Hausmann, den einzi- gen Österreicher der damaligen Da- daisten – übrigens später Vorbild

Erste Ausgabe der Zeitschrift „Der Dada“, aus Berlin, 1918.

für den Dichter Ernst Jandl. Nach dem Krieg hätten viele Dadaisten Zürich verlassen. Warum? Zu lang- weilig – damals sei gewitzelt wor- den, diese Stadt sei „doppelt so groß wie der Zentralfriedhof, aber nur halb so lustig“, erzählt Markus Kup- ferblum. Neue Dada-Metropolen der 20er-Jahre wurden Berlin sowie Paris, wo der Dadaismus im Surrea- lismus aufgehen sollte.

Apropos Zürich: Das Kunsthaus zeigt zum 100. Dada-Geburtstag ab heute, Freitag, über 200 Texte und Grafiken, die Tristan Tzara – eben- falls Mitglied im „Cabaret Voltaire“ – für sein Buchprojekt „dadaglobe“ gesammelt hatte (bis 1. Mai). Und rund 720 Grafiken, Zeichnungen und Dokumente von Dadaisten sind digitalisiert und online gestellt. 

(Salzburger Nachrichten, 5.2.2016)

100 Jahre Dada: Als Höhepunkt eine Rülpser-Husten-Nies-Arie

Regisseur Markus Kupferblum (Archivbild aus 2007).

Regisseur Markus Kupferblum (Archivbild aus 2007). / Bild: (c) APA (HERBERT PFARRHOFER) 

Der österreichische Dadaist Raoul Hausmann ist hierzulande so gut wie vergessen. Regisseur Markus Kupferblum will das ändern, mit seiner Hommage „Die Wolkenpumpe“ zum Dada-Jubiläum.

02.02.2016 | 17:33 |  Von Elisabeth Hofer  (Die Presse)

„Die Kunst ist nicht in Gefahr – denn die Kunst existiert nicht mehr! Sie ist tot“, grollte der Maler, Fotograf und Schriftsteller Raoul Hausmann im Dezember 1919 in der Zeitschrift „Der Dada“. Und endete: „Nieder mit dem deutschen Spießer!“ Das Wahre, Gute und Schöne schien nach dem Weltkrieg obsolet, was konnte man als Künstler also machen? Wenig Sinnvolles, entschied ein Grüppchen von Intellektuellen und Künstlern, das sich 1915 im Hinterzimmer eines Zürcher Gasthofs traf und dort seine Ratlosigkeit durch die Darbietung „sinnloser“ Kunst zelebrierte. Dada nannten sie die neue Richtung, mit der plötzlich Collagen aus Müll und Alltagsgegenständen Einzug in die Kunst hielten. Der in Wien geborene Hausmann entdeckte 1916 in Berlin den Dadaismus und gründete mit dem „Oberdada“ Johannes Baader die Berliner Dada-Bewegung.

Genau hundert Jahre danach huldigt Regisseur Markus Kupferblum dem einzigen österreichischen Dadaisten Hausmann am 5. Februar mit einer dadasophischen Ehrerbietung – einer Performance aus Text, Tanz und Musik, genannt „Die Wolkenpumpe“ – nach dem gleichnamigen Lyrikband des Dadaisten Hans Arp. Die Produktion „wird bunt, grell, durchgeknallt, einfach dadaistisch“, sagt Kupferblum. Den roten Faden bilden Errungenschaften aus Hausmanns Werk, aber auch Produktionen anderer Mitglieder der Dada-Bewegung sollen dargeboten werden. Mit seinem Ensemble, den Schlüterwerken, arrangiert Kupferblum die Texte mit viel Geräusch: Es wird gesungen und gekrächzt, den Höhepunkt soll eine Rülpser-Husten-Nies-Arie bilden.
„Als Prophet im eigenen Land gilt Hausmann in Österreich bis heute nicht viel“, bedauert Kupferblum. Wie der Dadaismus überhaupt, lehnte auch Raoul Hausmann die Verwertungslogik des (Kunst-)Markts radikal ab. Er war bekannt als „Scharfrichter der bürgerlichen Seele“, als kämpferischer Freigeist, der interdisziplinär agierte. Hauptsächlich beschäftigte er sich mit Fotomontagen und Lautgedichten, er gehörte auch zu den Erfindern des sinnfreien Plakatgedichts. In Österreich geriet er bald in Vergessenheit. Ab 1933 galt seine Kunst als entartet, er emigrierte aus Deutschland nach Spanien und später nach Frankreich, wo er 1971 an den Folgen einer Gelbsucht starb.

Mit dem Dadaismus habe man sich im Taumel zwischen den Weltkriegen orientieren wollen, sagt Regisseur Kupferblum. Gleichzeitig war der Kollaps des politischen Systems vorauszusehen. „Auch heute steuern wir auf eine globale Krise zu“, glaubt er. „Der Dadaismus auf der Bühne entspricht auch der Ratlosigkeit des 21. Jahrhunderts.“

7*Stern, Wien 7, Siebensterngasse 31, 5. 2., 20.15 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2016)

Dada

Das Lebensgefühl am Beginn des 20. Jahrhunderts war dominiert von der Erfüllung sämtlicher Träume, die die Menschheit je geträumt hatte.
Plötzlich konnte man sich fortbewegen, ohne von einem Lebewesen getragen oder gezogen zu werden, man konnte sogar fliegen, man konnte Stimmen und Musik aufnehmen und wiedergeben, man konnte Menschen in ihrer Bewegung festhalten, man konnte mit jemanden sprechen, der nicht anwesend war, man konnte mit einem einzigen Griff einen Raum erhellen, obwohl es Nacht war, man konnte sogar in einen Menschen hineinschauen, ohne ihn zu verletzen.
Man lebte im Gefühl, daß alles möglich war.
Das neue Selbstbewußtsein der Menschen brachte auch neue gesellschaftspolitische Ideen hervor, die Stellung der Frau in der Gesellschaft wandelte sich und Freud begann die menschliche Seele zu analysieren.

Am Höhepunkt dieses Aufbruchs richteten sich jedoch plötzlich sämtliche Errungenschaften dieser letzten Jahre mit dem Ausbruch des Weltkrieges 1914 gegen die Menschheit selbst. Das vermeintlich unsinkbare Schiff sank und riß die gesamte zivilisierte Welt mit in den Abgrund.
Plötzlich gingen die Menschen mit unvorstellbaren Waffen auf einander los und binnen kürzester Zeit erreichte der Krieg eine bis dahin ungeahnte Opferzahl. Man schoß mit Gewehren auf den Feind, die man nicht nachladen mußte, man konnte mit Giftgas und Bomben in Sekundenschnelle ganze Landstriche verwüsten, man fuhr mit Fahrzeugen, die gepanzert waren, man nützte die Kunst zu fliegen, um zu zerstören und die Kunst fernzusprechen, um mörderische Pläne zu koordinieren - mit dem einzigen Ziel, die Menschheit zu vernichten.
Allein an der Westfront kämpfte man vier Jahre lang um 30 km und es starben dort mehr als eine Million junger Menschen. (Im gesamten 30-jährigen Krieg zählte man etwa 8.000 Tote bei Kampfhandlungen.)

Und nun treffen1915 in Zürich, der Insel im Meer des Krieges, zufällig einige Künstler aus den verschiedensten Ländern auf einander, die es geschafft haben, sich diesem Wahnsinn zu entziehen, und warten hilflos, bis dieser Schrecken ein Ende nimmt. Sie beschließen, am 5. Februar 1916 einen Raum zu mieten, das Hinterzimmer eines Gasthofes, und geben Dinge zum Besten, die ihrer Ratlosigkeit entsprechen.
Was kann Kunst und was muß Kunst können im Anbetracht dieser Situation? Welche Verantwortung hat ein Künstler, der auf einer Insel sitzt, und der Welt zusieht, die in den Abgrund stürzt?
In diesem "Cabaret Voltaire" wird auf einer ein-saitigen Balalaika gezupft, dazu Lautgedichte rezitiert und Manifeste deklamiert, es werden Bilder ausgestellt, die nichts darstellen, es werden Collagen aus Müll und Alltagsgegenständen produziert und Simultangedichte von Lärm begleitet. Man läutet mit Kuhglocken, rezitiert Else Lasker-Schüler, Franz Werfel, Blaise Cendras und Max Jacob, tanzt zu Trommelmusik und machte mit Marcel Janco's Masken ekstatische Tänze. Alles wird zur Kunst erklärt. Man beschließt, alles zu vergessen, was es jemals gab, und vorallem, was gerade - rund um die Schweiz - geschieht. Man veranstaltete Französische, Russische und Italienische Soirées und versuchte, neue, völkerverbindende Ideale zu finden. Jeder Künstler war eingeladen, einen Beitrag zur Soirée zu leisten, egal welcher Disziplin er angehörte.
Der Gründer des "Cabaret Voltaire" war Hugo Ball, Regisseur und Dichter, großgewachsen, pockennarbig und verhungert, und seine Freundin Emmy Hennings. Dazu gesellten sich Hans Arp, Tristan Tzara, ein Dichter aus Rumänien, Richard Huelsenbeck aus Berlin, Marcel Janco und Max Oppenheimer. Das "Cabaret Voltaire" war bald der Geheimtip von Zürich.
Sie gaben eine Revue International "Dada" heraus, eine Zeitschrift, die ihre Beiträge sammelte, Manifeste druckte und Kunstwerke abbildete.
Dada lockte mehr und mehr Künstler an. Bald kamen Duchamp, Max Ernst und Hans Richter, Paul Klee, Kandinsky und de Chirico nach Zürich, aber auch Künstler, die es nicht bis hierher schafften, wurden nachhaltig von der Dada Bewegung beeinflußt.

Nach dem Weltkrieg verließ man so rasch es ging die Schweiz und so setzten sich die Dada Bewegungen in Paris, Berlin, New York, Köln, Hannover und in Imst in Tirol fort.
Walter Serner, Hanna Höch, Raoul Hausmann und Johannes Baader stießen in Berlin zu Dada, Picabia, Duchamp und Man Ray führten Dada nach New York, Tristan Tzara vereinigte in Paris André Breton, Philippe Soupault, und Luis Aragon und in Hannover gründete Kurt Schwitters seine Merz Bewegung. Hans Arp, Tristan Tzara und Max Ernst veranstalteten 1921 einen dadaistischen "Sängerkrieg" in Tarrenz bei Imst in Tirol.

1922 wurde der Dadaismus in Weimar beim Bauhausfest von Tzara offiziell zu Grabe getragen.

Nachdem Dada 6 Jahre lang dekretiert hatte, alles solle, müsse und werde aufgelöst, aus den Angeln gehoben und hängen gelassen, löste Dada sich selbst auf.
Mit der Publikation des "Surrealistischen Manifests" 1924 fand der Dadaismus dann sein logisches Ende.
Die meisten beteiligten Künstler hatten mit Breton einen professionellen Vermarkter gefunden, der ihnen die Struktur bot, ihre vielfältigen Versuche, ein zeitgemäßes Bild vom Menschen zu zeichnen, gemeinsam zu präsentieren. Die Spontaneität und die Dringlichkeit der ersten Jahre war verflogen, darauf folgte die solide Weiterentwicklung mit Theorie und Geschichte - und deren Vermarktung.
Der Surrealismus gab Dada Bedeutung und Sinn, Dada gab dem Surrealismus Leben.

Markus Kupferblum


Aufführung:

Nach dem umwerfenden Erfolg im Februar kehrt die Revue stilgerecht als Jause nach Wien zurück:
Vom 6. November bis 11. Dezember 2016
jeden Sonntag um 15:00 h im

Café 7stern Kulturzentrum
Siebensterngasse 31
1070 Wien

Reservierung per E-Mail